Technischer Fortschritt
Das erste Telefon kam 1904 in unser Dorf. Gegen eine einmalige Zahlung von 500,- Mark aus dem Gemeindesparbuch wurde es von der Kaiserlichen Post installiert.
Dem dringenden Wunsch der Einwohner zufolge wird 1904 in Kieve ein Standesamt eingerichtet (das Dorf hat in diesem Jahr 375 Einwohner). Standesbeamter wird der Schulze Wolter, Stellvertreter der Bildner und Schmiedemeister Genenz. Noch 1955 wurden die letzten Trauungen in diesem Amt vollzogen.
Jede Gemeinde war verpflichtet, sich eine Hebamme zu halten. Von 1904-24 war es in Kieve eine Mathilde Wegner, geb. Stintmann. Von der Gemeinde müssen ihre Ausbildungskosten getragen und die Arbeitsinstrumente besorgt werden. Außer einer Einliegerkompetenz erhält sie jährlich vierzig Mark und die freie Anfuhr von zwei Haufen Holz. Sie muss sich allerdings verpflichten, im Falle eines Fortzugs vor Ablauf von 10 Jahren für jedes fehlende Jahr 36 Mark Ausbildungskosten zurückerstatten. Nach Abschluss eines neuen Vertrages (1920) erhält sie eine freie Wohnung, aber nur noch dreißig Goldmark im Jahr.
Dass Kieve heute eine Bahnstation hätte und vielleicht sogar ein Vielfaches an Einwohnern, kann sich wohl niemand vorstellen. Doch, so unglaublich es klingen mag, 1911 wäre es beinahe Wirklichkeit geworden. In Bezug auf den etwa projektierten Bahnbau von Röbel über Kieve nach Dranse (einschließlich Buschhof) wird in einem Gemeindeprotokoll dahingehend berichtet, dass das benötigte Land freigegeben werde unter der Bedingung, dass in Kieve ein Haltepunkt vorgesehen oder in annehmbarer Nähe des Ortes errichtet werde. Nun – es war wohl nur ein Kuckucksei.
1924 gab es in der Gemeinde auch einen Gesangsverein. Die Dorfversammlung genehmigte ihm sogar die Benutzung der 1. Schulklasse als Vereinslokal.
1928 hören wir zum ersten Mal, daß die Gemeinde mit Strom versorgt werden soll. Die Versorgung und Installation soll jedoch laut einem Gemeindebeschluss nur geschehen, wenn dies auf einer preiswerten und für das Dorf günstigen Grundlage erfolgt.
Pferde gehörten schon immer zum Dorfbild in Kieve. Zeitweise gab es sogar erstaunlich viele, wie zum Beispiel 1946: 106 Stück. Sie waren stets der ganze Stolz der Bauern, kein Wunder, denn bis zu der Zeit, als es erste Traktoren gab, waren sie lebensnotwendig. Aber die Pferde wurden ja nicht nur als Nutztiere verwandt, sondern auch zur sportlichen Betätigung, besonders zum Reiten. Diese Sportart war die wohl beliebteste unter den Einwohnern. 1928 gab es in unserem Dorf sogar einen Reitverein.
Machtverhältnisse und Gemeindeverwaltungen
Auch über die Machtverhältnisse und die Gemeindeverwaltungen, die existierten, gibt es viel zu erzählen. Nachdem wir, wie schon erwähnt, bis zum 17. Jahrhundert von dem Schulzen Peters-Schultze hören, unterschreibt in den uns erhalten gebliebenen Gemeindeprotokollen und -papieren seit dem 18. Jhd. ununterbrochen bis 1914 ein Schulze Wolter, der Erbschulze ist.
Entsprechend den Besitzverhältnissen gab es auch in Kieve drei Hauptschichten. Die bestimmende Schicht war die der Bauern, welche auch den Schulzen bzw. Bürgermeister stellte, die zweite Schicht die der Büdner. Aus einem Revisionsstatut der Gemeindeordnung von 1875 erfahren wir: „Der Gemeindevorstand besteht aus dem Dorfschulzen und zwei Schöffen. Die Dorfversammlung wird außer den Mitgliedern des Gemeindevorstandes, dem Prediger, dem Küster und dem Holzwärter in folgender Weise gebildet: Die Besitzer der zehn größeren und der fünf kleineren Bauernhufen bilden drei Abteilungen, von denen z. Z. immer zwei Abteilungen zur Dorfversammlung gehören und von denen alle zwei Jahre eine Abteilung aus der Dorfversammlung ausscheidet, wogegen eine neue Abteilung wieder eintritt. Die Büdner haben drei Vertreter, oder falls bereits ein Büdner Mitglied des Gemeindevorstandes ist, zwei Vertreter. Die Häusler haben für die Dorfversammlung einen Vertreter zu stellen.“
Zu jener Zeit (1872) gehören dem Gemeindevorstand der Schulze Wolter und die Schöffen Genenz und Bruhn an. Als im Februar 1915 erstmals Wolters Unterschrift fehlt (sie ist 1918 wieder da), war er also mindestens 43 Jahre ununterbrochen Schulze.
1879 werden für weitere 6 Jahre von den Häuslern und Einliegern der Häusler Johann Riese und von den Büdnern Joachim Wegner und Fritz Dethling als ihre Vertreter wiedergewählt.
Wie anderswo, so war auch für Kieve das ständige Anwachsen und der Aufstieg der „kleinen Leute“ bemerkenswert.
Von 1663-1703 wuchs die Zahl der Einlieger von vier auf zehn, 1775 begegnen wir 14 Büdnern und 2 Einliegern und 1872 sind 20 Bildner, 14 Häusler und 26 Einlieger vorhanden. 1933 sind 20 Bildner und 27 Häusler registriert.
Der grundlegende Unterschied zwischen den beiden Schichten war, daß die Büdner eigenes Land besaßen, die Häusler dagegen nicht. Auch durften sich die Büdner eine Kuh halten, was bei den Häuslern nur in Ausnahmefällen genehmigt wurde. Die Kühe wurden zwar auf eine gemeinschaftliche Weide allerdings nach beiden Schichten getrennt – gehütet.
Durch die Gemeinschaftsarbeit dieser beiden Schichten entstand eine Art Vorstand. Daher hören wir in Erzählungen auch immer noch die erhalten gebliebene Bezeichnung Büdner- bzw. Häuslerbürgermeister.
In der Dorfversammlung arbeiten also Ende des vorigen Jahrhunderts sechs bis sieben Erbpächter, die die Macht ausüben, zwei Büdner und ein Häusler. Durch ihre Mehrheitsbeschlüsse können die Erbpächter alles zu ihren Gunsten entscheiden und beschließen. Häusler und Büdner bekamen sehr viele Pflichten und Lasten auferlegt, die ihr Leben noch schwerer machten. Auch Proteste der Büdner und Häusler halfen nicht, da sie ja in der Minderheit waren. Als aufgrund der Mecklenburgischen Verfassung von 1919 eine Neuwahl durchgeführt wird, ändert sich nichts; der bisherige Schulze Wolter wird wiedergewählt und auch als Schöffen bleiben Erbpächter im Amt. Doch 1922 wird das anders; die Machtverhältnisse wandeln sich. Schulze wird der Häusler Adolf Peters, Schöffen Wilhelm Wolter und der Häusler August Wehland. Weitere Gemeindevertreter sind: die Häusler F. lhde und F. Brandt, die Büdner Fritz Scheffer und Franz Thiel, der Einwohner Hermann Krabbe und der Hofbesitzer Wilhelm Wolter. Häufig lesen wir in der Folgezeit bei Beschlüssen von einer einzigen Gegenstimme (Hofbesitzer Wolter). Aber die Büdner und Häusler verstehen es, Veränderungen zu ihren Gunsten vorzunehmen und den „Großen“ Pflichten aufzuerlegen, beispielsweise bei der Einteilung der Hand- und Spanndienste.
In der weiteren Entwicklung, das heißt bei den nächsten Wahlen, können wir beobachten, daß die Zahl der Hofbesitzer in der Dorfversammlung zunimmt, denn 1924 sind es zwei und 1927 sogar schon drei. Außerdem wird 1927 der Hofbesitzer August Wolter schon wieder als Schöffe gewählt. Schon hier bahnt sich ein erneuter Wechsel der Machtverhältnisse an. Als schließlich dem Hofbesitzer die Beschlüsse von 1930 überhaupt nicht passen, treten ihre Vertreter aus der Dorfversammlung aus und blockieren so deren Beschlussfähigkeit. 1932 standen die „kleinen Leute“ noch einmal auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Es wurden letzte Beschlüsse zu ihren Gunsten gefasst, die jedoch schon ein Jahr später, nach dem Machtantritt Hitlers, aufgehoben und neu beschlossen werden. Bestes Beispiel dafür war die Verteilung der Kosten für den Bau der Chaussee Kieve-Hinrichshof.
Die einzige Wahl während der Zeit des Faschismus im Mai 1933 brachte wiederrum einen Wechsel der politischen Macht im Dorf. Die Hofbesitzer erhalten schlagartig ihren früheren Einfluss zurück. Schulze wird der Altenteiler Wilhelm Wolter, Schöffen der Hofbesitzer August Walter und der Bildner August Wille. Zur Dorfversammlung gehören außerdem ab jetzt: die Hofbesitzer Wilhelm Ihde, Louis Niemann, August Wolter, Werner Stintmann, der Milchfahrer Wilhelm Käther, der Häusler Gustav Nagel.
Das gesellschaftliche Leben reißt ab, alles wird von oben administrativ festgelegt. Der Krieg beginnt, in den fast alle Männer aus Kieve ziehen müssen und in dem viele von ihnen auf fremder Erde umkommen. Im Dorf selbst spürte man den Krieg nur an den zu leistenden Abgaben. Für die Frauen und Söhne stellten sie beträchtliche Lasten dar. Dabei war jedoch der feste Zusammenhalt der Einwohner bemerkenswert. Auch die durchziehenden Flüchtlingsströme in den letzten Kriegswochen und -tagen konnten die Kiever Bürger nicht dazu bewegen, Haus und Hof zu verlassen.
Quelle: 1232 - 1982, 750 Jahre Kieve - Eine Chronik, erarbeitet von Gerd Koths